Mittwoch, 17. Juni 2015

Warum der deutsche Alltag langweilig sein wird:



1. Das Bewegen im Straßenverkehr sorgt in Indien für einen ständigen Adrenalin-Kick. Läuft man durch die Stadt, muss man ständig ausweichen, um nicht von den verschiedensten Gefährten umgefahren zu werden, Motorräder fahren übrigens auch gerne mal auf der falschen Straßenseite. Fährt man mit einer Rikscha durch die Stadt, ist man im Vergleich zu den ganzen Bussen und Lastwagen doch ziemlich klein und die Rikscha-Hupen sind oft nur so Tröten-nicht sehr vertrauenserweckend. Den Vogel schießen aber die Überland-Busfahrten ab: der Busfahrer  ist generell der Meinung, dass er Vorfahrt hat. Fährt das Fahrzeug vor ihm zu langsam, drückt er einfach auf die Hupe (die jegliche Lautstärkevorschriften in Deutschland überschreiten würde) und dann aufs Gas: entgegenkommende Bikes, Rikschas, Ochsenkarren und Autos müssen ausweichen. Kommt ein zweiter Bus oder ein Laster entgegen, wird aus dem Überholmanöver ein Kräftemessen: wer bremst zuerst? Schon mehr als einmal sah ich unseren Bus vor meinem inneren Auge frontal mit einem anderen Bus zusammenknallen. Zum Glück hatten wir bis jetzt immer einen Schutzengel und die Busfahrer wissen schon ganz gut, was sie tun. Um das Fehlen dieser täglichen Adrenalin-Kicks auszugleichen, muss ich wahrscheinlich anfangen, eine Extremsportart zu machen! 

2. Stehen wir vor unserem Projekt an der Straße und warten auf einen Bus oder ein shared Auto, rasten die Kinder von gegenüber regelmäßig richtig aus und rufen uns so lange, bis wir reagieren. Winken wir dann mal rüber, fangen sie an, auf dem Balkon auf und ab zu springen und man kann quasi fünf Minuten damit verbringen, zu winken und damit eine begeisterte Reaktion bei ihnen auszulösen. Auch sehr amüsant sind die Schulbusse voller Vorschüler oder Shared Autos, die vollgepackt sind mit Schulkindern. Zuerst schauen einen nur viele große Augen verwundert an und wenn man dann winkt, löst man manchmal einen richtigen Aufruhr aus. Ansonsten machen oft Motorräder langsamer, um noch ein bisschen mehr schauen zu können oder Frauen rufen einem zu, ob man denn schon gegessen hat. Manchmal sitzt man auch mit lauter Frauen im shared auto, die dann anfangen, einem an den Haaren herumzuwerkeln oder schockiert fragen, wo ich denn meine Ohrringe gelassen hätte. 

3. In Indien ist es sehr verbreitet, die Haustür offen stehen zu lassen. Wir machen das eigentlich nicht so oft, meistens wenn Stromausfall ist. Dann hatten wir allerdings schon die schönsten Besucher: Die Nachbarskinder zusammen mit ihrer Oma, die sich einmal umschaut und dann nickend wieder geht, Straßenhunde oder eine Ziege, die versucht, unsere Sachen anzufressen. Andere, regelmäßige Besucher in unserem Haus sind übrigens eine Menge Mücken (wir schlafen immer unter einem Moskitonetz), Gekkos (die sich über die ganzen Mücken freuen) und Frösche. Die Frösche wohnen in unserem Bad und einer fühlt sich besonders wohl in meinem Waschlappen, der da an einem Haken hängt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie weit die Dinger springen können-jeder Toilettenbesuch wird zum Erlebnis!

4. Gerade sitze ich übrigens im luxuriösesten Hotel der Gegend. Wie das kommt? Annika wurde letztens in Mahabs mal angesprochen, ob sie ein Fotoshooting machen möchte, einfach so zum Spaß. Ich war ursprünglich nur zur Begleitung gedacht, wurde dann plötzlich aber doch auch zum Model. Eine interessante Erfahrung, zu Heidi Klum zieht es mich aber ganz sicher nicht… Jedenfalls wollte der Fotograf jetzt nochmal ein Shooting mit Annika für einen Kalender, den er macht. Sie wird gerade für ihr zweites Outfit geschminkt, nachdem wir ein Fünf-Gänge-Menü zu Mittag hatten. Außerdem werden wir in drei Kinofilmen zu sehen sein und haben bei einer kolumbianischen Reality-Show mitgespielt. Die Wahrscheinlichkeit in Deutschland spontan für etwas engagiert zu werden, ist wohl eher gering und damit ist auch meine vielversprechende Schauspiel-Karriere erst mal vorbei… 

5. Läuft man in Indien durch die Straßen, trifft man häufig auf zerbrochene grüne Kürbisse, die in der Mitte rotes Farbpulver haben oder zerdepperte Kokosnüsse. Das sind Utensilien für eine Pooja, eine Andacht der Hindus. Fällt zur passenden Zeit der Strom aus, hört man draußen den Muezzin und dass wir ab und zu mal in der Kirche sitzen, habe ich bestimmt schon erwähnt. In Deutschland riecht es nicht plötzlich verkohlt, weil ein Opa  mit einer brennenden Kokosnuss Kreise vor der Tür dreht, es gibt keine Frauen, die morgens mit weißem Pulver Mandalas vor ihre Häuser malen und man wacht auch nicht von ohrenbetäubender Musik auf, weil ein Tempelfest ist und deshalb meterhohe Lautsprecher aufgebaut wurden, die einen jetzt rund um die Uhr beschallen. 

Versteht mich nicht falsch, natürlich freue ich mich auch auf Deutschland, aber das sind Dinge, die mir fehlen werden: im Vergleich zu Indien ist Deutschland einfach ein bisschen leise, grau und geruchs- und geschmacklos. 

Und das war es übrigens erst mal von mir. Am Sonntag werde ich meine indische SIM-Karte im Projekt lassen und im Ashram mein Handy erst mal ausgeschaltet lassen und auch kein Internet benutzen. Was wir danach genau machen, ist noch nicht klar. Falls ich Zeit, Energie und  Möglichkeit habe (meinen Laptop werde ich nämlich auch im Projekt lassen), schreibe ich vielleicht noch einen Bericht über unsere Zeit im Ashram und antworte auf Nachrichten, aber das ist alles noch nicht sicher. Falls ihr ganz dringend Kontakt mit mir aufnehmen wollt, könnt ihr mir ab dem 27. Juni SMS auf meine deutsche Nummer schreiben (die, die ich bekommen habe, nachdem ich  mein Handy verloren hatte, also zwei Wochen bevor ich gegangen bin. Sie fängt an mit 015237). Und wenn ich in Deutschland bin, kommt auf jeden Fall noch ein Fazit!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen