1. Das Bewegen im Straßenverkehr sorgt in Indien für einen
ständigen Adrenalin-Kick. Läuft man durch die Stadt, muss man ständig
ausweichen, um nicht von den verschiedensten Gefährten umgefahren zu werden,
Motorräder fahren übrigens auch gerne mal auf der falschen Straßenseite. Fährt
man mit einer Rikscha durch die Stadt, ist man im Vergleich zu den ganzen
Bussen und Lastwagen doch ziemlich klein und die Rikscha-Hupen sind oft nur so
Tröten-nicht sehr vertrauenserweckend. Den Vogel schießen aber die
Überland-Busfahrten ab: der Busfahrer
ist generell der Meinung, dass er Vorfahrt hat. Fährt das Fahrzeug vor
ihm zu langsam, drückt er einfach auf die Hupe (die jegliche
Lautstärkevorschriften in Deutschland überschreiten würde) und dann aufs Gas:
entgegenkommende Bikes, Rikschas, Ochsenkarren und Autos müssen ausweichen.
Kommt ein zweiter Bus oder ein Laster entgegen, wird aus dem Überholmanöver ein
Kräftemessen: wer bremst zuerst? Schon mehr als einmal sah ich unseren Bus vor
meinem inneren Auge frontal mit einem anderen Bus zusammenknallen. Zum Glück
hatten wir bis jetzt immer einen Schutzengel und die Busfahrer wissen schon
ganz gut, was sie tun. Um das Fehlen dieser täglichen Adrenalin-Kicks
auszugleichen, muss ich wahrscheinlich anfangen, eine Extremsportart zu machen!
2. Stehen wir vor unserem Projekt an der Straße und warten
auf einen Bus oder ein shared Auto, rasten die Kinder von gegenüber regelmäßig
richtig aus und rufen uns so lange, bis wir reagieren. Winken wir dann mal
rüber, fangen sie an, auf dem Balkon auf und ab zu springen und man kann quasi
fünf Minuten damit verbringen, zu winken und damit eine begeisterte Reaktion
bei ihnen auszulösen. Auch sehr amüsant sind die Schulbusse voller Vorschüler
oder Shared Autos, die vollgepackt sind mit Schulkindern. Zuerst schauen einen
nur viele große Augen verwundert an und wenn man dann winkt, löst man manchmal
einen richtigen Aufruhr aus. Ansonsten machen oft Motorräder langsamer, um noch
ein bisschen mehr schauen zu können oder Frauen rufen einem zu, ob man denn
schon gegessen hat. Manchmal sitzt man auch mit lauter Frauen im shared auto,
die dann anfangen, einem an den Haaren herumzuwerkeln oder schockiert fragen,
wo ich denn meine Ohrringe gelassen hätte.
3. In Indien ist es sehr verbreitet, die Haustür offen
stehen zu lassen. Wir machen das eigentlich nicht so oft, meistens wenn
Stromausfall ist. Dann hatten wir allerdings schon die schönsten Besucher: Die
Nachbarskinder zusammen mit ihrer Oma, die sich einmal umschaut und dann
nickend wieder geht, Straßenhunde oder eine Ziege, die versucht, unsere Sachen
anzufressen. Andere, regelmäßige Besucher in unserem Haus sind übrigens eine
Menge Mücken (wir schlafen immer unter einem Moskitonetz), Gekkos (die sich
über die ganzen Mücken freuen) und Frösche. Die Frösche wohnen in unserem Bad
und einer fühlt sich besonders wohl in meinem Waschlappen, der da an einem
Haken hängt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie weit die Dinger
springen können-jeder Toilettenbesuch wird zum Erlebnis!
4. Gerade sitze ich übrigens im luxuriösesten Hotel der
Gegend. Wie das kommt? Annika wurde letztens in Mahabs mal angesprochen, ob sie
ein Fotoshooting machen möchte, einfach so zum Spaß. Ich war ursprünglich nur
zur Begleitung gedacht, wurde dann plötzlich aber doch auch zum Model. Eine
interessante Erfahrung, zu Heidi Klum zieht es mich aber ganz sicher nicht…
Jedenfalls wollte der Fotograf jetzt nochmal ein Shooting mit Annika für einen
Kalender, den er macht. Sie wird gerade für ihr zweites Outfit geschminkt,
nachdem wir ein Fünf-Gänge-Menü zu Mittag hatten. Außerdem werden wir in drei
Kinofilmen zu sehen sein und haben bei einer kolumbianischen Reality-Show
mitgespielt. Die Wahrscheinlichkeit in Deutschland spontan für etwas engagiert
zu werden, ist wohl eher gering und damit ist auch meine vielversprechende
Schauspiel-Karriere erst mal vorbei…
5. Läuft man in Indien durch die Straßen, trifft man häufig
auf zerbrochene grüne Kürbisse, die in der Mitte rotes Farbpulver haben oder
zerdepperte Kokosnüsse. Das sind Utensilien für eine Pooja, eine Andacht der
Hindus. Fällt zur passenden Zeit der Strom aus, hört man draußen den Muezzin
und dass wir ab und zu mal in der Kirche sitzen, habe ich bestimmt schon
erwähnt. In Deutschland riecht es nicht plötzlich verkohlt, weil ein Opa mit einer brennenden Kokosnuss Kreise vor der
Tür dreht, es gibt keine Frauen, die morgens mit weißem Pulver Mandalas vor
ihre Häuser malen und man wacht auch nicht von ohrenbetäubender Musik auf, weil
ein Tempelfest ist und deshalb meterhohe Lautsprecher aufgebaut wurden, die
einen jetzt rund um die Uhr beschallen.
Versteht mich nicht falsch, natürlich freue ich mich auch
auf Deutschland, aber das sind Dinge, die mir fehlen werden: im Vergleich zu
Indien ist Deutschland einfach ein bisschen leise, grau und geruchs- und
geschmacklos.
Und das war es übrigens erst mal von mir. Am Sonntag werde
ich meine indische SIM-Karte im Projekt lassen und im Ashram mein Handy erst
mal ausgeschaltet lassen und auch kein Internet benutzen. Was wir danach genau
machen, ist noch nicht klar. Falls ich Zeit, Energie und Möglichkeit habe (meinen Laptop werde ich
nämlich auch im Projekt lassen), schreibe ich vielleicht noch einen Bericht
über unsere Zeit im Ashram und antworte auf Nachrichten, aber das ist alles
noch nicht sicher. Falls ihr ganz dringend Kontakt mit mir aufnehmen wollt,
könnt ihr mir ab dem 27. Juni SMS auf meine deutsche Nummer schreiben (die, die
ich bekommen habe, nachdem ich mein
Handy verloren hatte, also zwei Wochen bevor ich gegangen bin. Sie fängt an mit
015237). Und wenn ich in Deutschland bin, kommt auf jeden Fall noch ein Fazit!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen