Mit ein paar Nes Ammim Volontären besuchten wir morgens die Friedhöfe in Nahariyya und Hanita, einem Kibbutz an der libanesischen Grenze, auf denen zwei ehemalige Nes Ammim Volontäre liegen, die in der israelischen Armee dienten und gestorben sind. Einer von ihnen wurde beim Hitchhiken entführt, seine Leiche wurde später ausgeraubt gefunden und musste durch Fernsehanzeigen identifiziert werden, der andere war Bombenspezialist und wurde bei einem Entschärfungsversuch in Gaza in die Luft gesprengt.
Auf israelischen Friedhofen gibt es eigene Bereiche fur Soldaten, und wenn man bedenkt, dass allein in 2010 183 israelische Soldaten gestorben sind, ohne dass sich Israel im Krieg befunden hätte, kann man sich vorstellen, dass diese Bereiche viel gefüllter sind, als man sich das in Deutschland denken würde.
Am Yom haZikaron besuchen jedenfalls nicht nur die Familien die Gräber der gefallenen Familienangehörigen (und in Israel gibt es keine Familie, die nicht einen etwas näher oder ferner entfernen Verwandten verloren hat), sondern auch das Militar kommt auf die Friedhöfe: Mitglieder der ehemaligen Einheiten besuchen die Gräber der Gefallenen, und vor den Gräbern der im letzten Jahr Verstorbenen stehen immer ein oder zwei Soldaten, die von der IDF geschickt werden, um den Familien zu zeigen, dass die Toten nicht vergessen sind.
Um elf Uhr heulen im ganzen Land wieder fur zwei Minuten die Sirenen, auf den Straßen kommt der Verkehr zum Erliegen und auf den Friedhofen werden Gedenkzeremonien abgehalten. Wir befanden uns zu diesem Zeitpunkt gerade in Hanita, und von den Bergen umher konnte man die Sirenen der anderen Kibbutzim und Dörfer hören, während Soldaten, die in Hanita wohn(t)en zwei Fackeln anzündeten.
Um daran zu erinnern, dass all die Toten (zumindest nicht völlig) umsonst gestorben sind - immerhin haben sie den Staat Israel verteidigt - geht der Gedenktag abends nach jüdischer Tradition in den Unabhängigkeitstag (Yom haAtzma'ut) über.
Wir fuhren nach Regba, unserem benachbarten Moshav, denn dort backt Nes Ammim am Unabhängigkeitstag traditionell Pfannkuchen.
Wir waren recht erfolgreich und verbrauchten fast anderthalb Wannen Pfannkuchenteig, auch wenn wir selber nichts abbekamen/abbekommen wollten (könnte aber auch an dem übrigen reichlichen Speiseangebot gelegen haben: nachdem wir uns in Schichten durch Kuchen, Kekse, Falafel & Pita, heiße Maiskolben und Zuckerwatte in rauen Mengen gefressen hatten, saßen wir am Ende neben unserem Pfannkuchenstand und waren nicht mehr in der Lage uns zu bewegen, was Jennie an den Rand ihrer Nerven trieb, irgendjemand musste immerhin die Pfannkuchenteigwannen wieder zum Auto tragen).
Zum Kalorienverbrennen fuhren wir hinterher mit dem Fahrrad durch die Felder nach Beit haEmeq, dort fand eine Independence-Day-Party statt. Wir tanzten auf komische Techno-Versionen von israelischen Patriotismus-Liedern, auch wenn Eva und mir der Verdacht kam, dass wir die Geschichte mit dem Patriotismus vielleicht sogar ein wenig ernster nahmen als die anderen Anwesenden:
Während die Israelis ihre Unabhängigkeit feiern, begehen die Palästinenser den Naquba-Day. Naquba ist arabisch und bedeutet Katastrophe, denn für die Palästinenser ist es nunmal nicht besonders gut, dass Israel seine Unabhängigkeit erlangte. Hier ist eben alles zweischneidig: man freut sich mit den einen, aber bitte auch nicht zu sehr, denn andere müssen darunter leiden. In den Wochen vorher waren großangelegte Protestaktionen angekündigt und die arabischen Staate zum Einmarsch in Israel aufgefordert worden. Dazu ist es nicht gekommen, zumindest nicht in dem Ausmaß, aber in Majdal Shams (ihr erinnert euch?) versuchten Gruppen von Palästinensern, die heute in Syrien leben, die Grenze zu überqueren, Teile von ihnen wurden dabei erschossen. Wobei ich jetzt auch den Schreck der israelischen Soldaten verstehe, wenn sie einen Haufen aufgebrachter Männer sehen, die erst den Grenzzaun Syriens durchbrechen, dann den der UN unterstehenden Streifen zwischen den beiden Ländern durchqueren und auf die israelische Grenze zustürmen. Nicht, dass ich damit sagen will, dass es richtig war zu schießen, und erst recht nicht dass es ich nicht schrecklich finde, dass Menschen dabei gestorben sind - aber irgendwie kann ich ja beide Seite verstehen.
Die nächste Protestaktion ist jetzt übrigens für den 5. Juni geplant, es wird erwartet, dass bis zu 100 000 Palästinenser gegen die Checkpoints in der Westbank marschieren. Ich werde dann jedenfalls in Ägypten sein und damit vermutlich genauso sicher wie in Nes Ammim.
Bis bald und Shalom! (: