Donnerstag, 18. November 2010

Welcome to Palestine.

Halala! (Das ist das arabische Wort für WILLKOMMEN. Zumindest glaube ich das. Jolan und Raffael wissen das sicher besser, die beiden sind dank ausgesprägtem Islam-Interesse und Auslandsaufenthalt bei arabischer Familie in Nazareth sozusagen Experten, und darum war es natürlich nur naheliegend, mit ihnen in die Westbank zu fahren).
Nachdem mir also um zwei Uhr morgens einfiel, dass mein Pass noch sicher verwahrt im Safe des Bussehouses lag (zum Glück war Augustin noch so wach, dass er die Alarmanlage ausschalten und meinen Pass in der Sammelbox finden konnte), machten wir uns sechs Stunden später mit dem Bus auf in Richtung Afula - Jelome-Checkpoint - Jenin - Nablus. Es war nicht leicht, aber nachdem wir eine Weile in der prallen Sonne die Straße entlanggetrottet waren, konnten wir tatsächlich einen Autofahrer überzeugen, uns drei samt unserer mehr oder weniger großen Rucksäcke (ich sage nur: Greta Garbo) durch den Checkpoint bis nach Jenin mitzunehmen, und dort stiegen wir in ein Sherut nach Nablus.



Nablus ist die größte Stadt in der Westbank (oder Palestine, wie die Leute dort sagen) und angeblich die viertälteste Stadt der Welt (Platz Eins belegt Jericho). Bei 30 Grad im Schatten und angekleidet mit langer Hose, T-Shirt ohne Ausschnitt, einer Jacke mit langen Ärmel und einem Schal, um auch noch die letzten Reste von Unzüchtigkeit zu verstecken, sind wir trotzdem aufgefallen wie die bunten Hunde, aus dem einfachen Grund, dass ich kein Kopftuch trug. Das tun nämlich 95 Prozent der Frauen in Nablus, während sich der Großteil der Männer kaum von Italienern unterscheidet (einschließlich der protzigen Goldketten um Arme und Hals).
Es ist sehr verwirrend: alle Leute dort sind unglaublich gastfreundlich und hilfsbereit: wenn man sie nach dem Weg fragt und das ganze an mangelnden Englisch- bzw. Arabischkenntnissen auf der anderen Seite scheitert, lassen sie einen keineswegs einfach weiterziehen, sondern schreien und gestikulieren so lange, bis sie jemanden gefunden haben, der genug Englisch spricht, um einem den Weg zu erklären. Andererseits hängen überall in den Gassen Plakate mit größtenteils bewaffneten 'Helden' - die während der zweiten Intifada israelische Soldaten getötet haben und dabei gestorben sind - die allein durch ihre Masse einen leicht beklemmenden Eindruck verbreiten. Die Intifada ist sowieso immer noch allgegenwärtig, sei es in Form von Gedenktafeln, über denen auf Arabisch und Englisch NEVER FORGET NEVER FORGIVE steht, oder der Menschen, die einem begegnen und nicht nur seelische Narben davongetragen haben: vor einem Geschäft trafen wir einen Mann, der gleich sein Hemd hochgezogen hat, um uns die Einschusslöcher auf Höhe des Blinddarms und die lange Narbe über den gesamten Bauch durch eine Messerstecherei zu zeigen.






Ein Shopbesitzer (sein Laden gleicht einem Theaterfundus, er verkauft Kleider, Poster, allerlei Krimskrams, und außerdem stellt er innerhalb von anderthalb Minuten Fake-Goldrahmen her), den wir auf der Straßen getroffen hatten, nahm uns erst mit in eines der Baklava-Cafés, um uns genau zu zeigen, wie man Kunavi und Gulaasch herstellt (beides enthält kein Fleisch, sondern ganz viel Zucker und Ziegenkäse und schmeckt wesentlich besser, als es klingt). Anschließend verbrachten wir noch eine lange Zeit in seinem Geschäft, tranken arabischen Tee und Kaffee mit ihm, ließen uns erzählen, wie er Arafat und King Hussein von Jordanien getroffen hatte, und sprachen über den Frieden mit den Israelis. Einerseits war er ziemlich liberal und meinte: "Wir wollen keinen Krieg mit den Israelis, und sie wollen keinen Krieg mit uns. Die einzigen, die keinen Frieden wollen, sind die Regierungen" und "Es wird Zeit, dass der Frieden kommt. Meine Generation will ihn noch, aber meine Kinder werden ihn nicht mehr wollen, weil sie ihn nicht gewöhnt sind", andererseits lehnte er aber ganz kategorisch ab, dass Jerusalem die Hauptstadt des jüdischen Staates werden könnte, denn für ihn ist Jerusalem nur für die Muslime eine Heilige Stadt.
Am Ende wurde er jedoch etwas aufdringlich mit seinen Kaffee-Angeboten und dem Versuch, mich an einen Palästinenser zu verheiraten, darum machten wir uns auf die Suche nach dem Mittagessen. Wir standen gerade vor einem Falafel-Stand, als wir von einem anderen Mann angesprochen wurden. Zuerst dachten wir, dass er einfach nur ein aufdringlicher Falafel-Stand-Besitzer wäre, der versuchte Kundschaft zu gewinnen, dann stellte sich aber heraus, dass er einen Malereibetrieb hatte. Trotzdem lud Abdallah (das war sein Name) uns zum Mittagessen ein und zeigte uns den ganzen Nachmittag über die Altstadt von Nablus, was sich als wahrer Glücksfall herausstellte, weil er tatsächlich eine Ahnung davon hatte, welche Gasse wohin führte; und außerdem kannte er eine Menge Leute. So zeigte er uns zum Beispiel einen Gewürzladen samt Hinterzimmer, wo die Gewürze in riesigen Säcken aufbewahrt wurden und die Maschinen standen, in denen sie gemahlen wurden. Weiter ging's ins Türkische Bad (ja, über dem Brunnen hängt wirklich ein ausgestopftes Krokodil), wo es mehr Tee und Kaffee gab sowie einen kostenlosen Rundgang und äußerst schweißtreibenden Rundgang. Abschließend lud er uns noch zu sich nach Hause ein (seine Frau war in Holland aufgewachsen und nahm die Gelegenheit, mit Jolan Holländisch zu spreken, gerne wahr). Voller Stolz zeigte uns Abdallah zum Abschluss sein Auto (rot, aus dem Jahre 1975, ohne Anschnallgurte oder funktionierenden Tacho, dafür mit ausgeprägtem Benzingestank im Inneren), fuhr uns auf den Berg, um uns einen nächtlichen Ausblick über Nablus zu bescheren, und dann bei seinem besten Freund vorbei, einem Arzt, der 40 Jahre in Deutschland gearbeitet hatte. Auch wenn wir während seines ersten deutschen Satzes nicht einmal bemerkten, dass er Deutsch sprach, kamen seine Sprachkenntnisse schnell zurück und wir diskutierten bei mehr Kaffee über deutsche Innenpolitik und Al-Quaida. Der Kaffee scheint ihn übrigens bis nach Deutschland begleitet zu haben, denn er schrieb seine Doktorarbeit über folgendes Thema: 'Pharmakalogische Wirkung von unbehandelten und behandelten Kaffeeproben auf Zentralnervensysten, Darm und Galle'.
Am nächsten Morgen machten wir uns auf die Suche nach einem Taxi und durchquerten dabei den Souk: gerammelt voll, die Händler schreien mit einer Leidenschaft, die mich stark an die Szenen in Herr-der-Ringe erinnerte, wenn die Waffen verteilt und die Motivations-Rede vor der Schlacht gehalten wird, und über den Respekt eines Tierlebens lässt sich streiten:





Ergänzungsweise gab es noch einen Kuhkopf auf dem Boden, der einen aus halbgeschlossenen, blanken Augen (nicht mehr) anstarrte und aus dessen Halsöffnung noch 20 Zentimeter Zungenmuskel hingen, und mehrere äußerst blutige Schafsköpfe. Ich musste schlucken, Raffael und Jolan bestellten gleich das nächste Shawarma-Sandwich.
Schließlich fuhren wir auf den Mount Gerizim nach Kiryat Luza, wo eine der beiden einzigen Samariter-Gemeinden in Israel liegt. Es gibt heute nur noch 547 Samariter, und sie sagen von sich, allein noch nach der ursprünglichen Tora (bestehend nur aus den 5 Büchern Mose) zu leben: nach ihrer Ansicht wurde das Judentum von den im Exil lebenden Juden verfälscht. Wir besichtigten die Spitze des Berges, auf der sowohl die Synagoge mit dem Opferplatz liegen, auf dem Samariter Pessach die Schafe schlachten (denn für sie ist Mount Gerizim der Ort, an dem Abraham Isaak opfern sollte), und eine Moschee, die aus Saladins Zeiten stammt. In den letzten 900 Jahren scheint sich jedoch einiges verändert zu haben, denn der einzige Eingang in die Moschee war ein Fenster in der Felswand in 3 Metern Höhe, was uns eine ganz schöne Kletterpartie einbrockte.
Anschließend hatten wir das Glück, im dorfinternen Museum den zukünftigen Hohepriester der Samariter zu treffen (sozusagen an erster Stelle auf der Warteliste), der uns etwas über Alt-Hebräische-Torarollen erzählte und Jolan eine Tora verkaufte. Zufrieden machten wir uns auf den Rückweg und während wir am Checkpoint auf unser Taxi warteten, unterhielten wir uns noch etwas mit den dort stationierten Soldaten. Es ist übrigens wahr und nicht übertrieben: wenn ein israelischer Soldat sein Maschinengewehr verliert, drohen ihm bis zu sieben Jahre Gefängnis.
Die Rückreise ging überraschend schnell; wir hatten damit gerechnet, ewig lange am Checkpoint aufgehalten zu werden (man darf die Westbank nämlich nicht zu Fuß verlassen). Der bot übrigens ein gruseliges Bild: eine lange Autoschlange wälzt sich auf ein Gebilde zu, dass mit den Wachtürmen und dem Stacheldraht an eine Mischung aus KZ und Klischee-Amerikanisches-Gefängnis erinnert, dazwischen laufen Kinder und Jugendliche herum und versuchen, Salat und Plastik-Teletubbies zu verkaufen. Nachdem wir also eine Viertelstunde lang ratlos zwischen den Autos gestanden hatten, winkte uns einer der Soldaten heraus und ließ uns einfach an den Autos vorbeimarschieren. Wir mussten noch schnell unser Gepäck durchleuchten lassen und schwups - waren wir wieder zurück in Israel.
In Nes Ammim hatten wir auch nicht sonderlich viel verpasst, zumindest nichts erfreuliches: während des Wochenendes war mitten im Feld ein 70-Zentimeter-Durchmesser-Rohr geplatzt, was zur Folge hatte, dass sechs Ortschaften inklusive Nes Ammim ohne Wasser waren, und da es natürlich keine Vorwarnung gegeben hatte, mussten wir irgendwann dazu übergehen, Wasser aus dem Pool zu schöpfen, um den Toiletteninhalt hinunterspülen zu können (Zitat des Wochenendes von Kevin: 'If it's yellow, let it mellow, if it's brown, flush it down').

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