Dienstag, 28. Oktober 2014

Kleine Geschichten aus meinem indischen Alltag: Kapitel 1-4


Kapitel 1: Die Nachbarn

Wir wohnen in einer Art Mehrfamilienhaus mit drei Wohnungen. Die Nachbarn sieht und vor allem hört man ständig, da die Kinder oft schreiend draußen herumrennen (gerne auch schon morgens um sieben) und die Haustür meistens offen steht. Direkt an unser Haus gebaut ist auch ein kleiner Kiosk, dessen Besitzer uns schon fragt was los ist, wenn wir mal einen Tag nicht bei ihm eingekauft haben. Er führt von Chips und Keksen über Seife und Zahnbürsten auch Stifte und Milch. Vor ein paar Tagen hatte Annika Halsschmerzen und ich wollte ihr einen Tee besorgen. Während der Verkäufer mir sein Sortiment an Tee zeigte, fragte er, wo meine Freundin denn sei. Als ich erwähnte, dass sie Halsschmerzen habe und dass ich deshalb den Tee kaufen wollte, drückte er mir stattdessen ein Stück Ingwer in die Hand, das er heute zufällig auch im Angebot hatte und meinte, dass ich ihr lieber einen Ingwertee kochen sollte. Leider konnte ich seinen Anweisungen nicht ganz folgen, weshalb er irgendwann das Stück Ingwer ergriff und bei den Nachbarn klingelte, der Mutter den Ingwer in die Hand drückte und ihr erklärte, was sie machen sollte. So stand ich bei den Nachbarn in der Küche und schaute zu, wie sie den Ingwer mit einer Reibe zerkleinerte. Danach erklärte sie mir nochmal auf Tamil, was ich damit machen sollte und ich wackelte eifrig mit dem Kopf und konnte Annika endlich den Tee kochen.
Auch ganz amüsant war am Wochenende, als eine alte Frau an der Tür klingelte, um uns eine Schüssel mit Süßigkeiten zu bringen. Womit wir die verdient hatten, weiß ich nicht und leider weiß ich auch nicht, wo die Frau wohnt, um ihr die Schüssel zurückzubringen. Aber lecker wars J

Kapitel 2: Die Polizei

Unser Projekt liegt direkt an der East Coast Road, die große Straße, die an der Küste entlangführt und Chennai und Pondicherry verbindet. Es gibt eine Abteilung der Polizei, die für die Sicherheit auf der Straße sorgen soll und sie deshalb immer auf und ab fährt. Einmal standen wir abends an der Straße und wollten ein shared auto anhalten. Zwei junge Männer aus unserem Projekt haben mit uns gewartet und immer mit den Fahrern geredet. Anscheinend wollten alle mehr Geld, als sie für nötig hielten, weshalb wir dann eine halbe Stunde da standen und sie jedes auto wieder wegschickten. Irgendwann waren wir ziemlich genervt und sie wohl auch, weshalb einer über die Straße lief und ans Fenster des Polizeiautos klopfte, was da gerade Pause machte. Der Polizist kam dann und redete eine Weile mit uns und als das nächste Auto vorbei kam, wollte der Fahrer plötzlich auch keinen Nachtaufschlag mehr.
Ein paar Tage später liefen wir morgens die Straße entlang, weil noch keine shared autos unterwegs waren. Plötzlich hielt neben uns das Polizeiauto an und der gleiche Polizist lud uns ein, einzusteigen. Mit gemischten Gefühlen kletterten wir in das Auto und wurden so von der Polizei zum Projekt gebracht.
Es geht aber noch skurriler: Ich war gerade zum Wäschewaschen im Bad, als es an der Tür klingelte. Ich hörte, wie Annika aufmachte und kurz redete. Danach kam sie zu mir und erzählte, dass das die Polizei gewesen war, die nur eine Frage gestellt hat: Habt ihr schon gegessen? Nachdem sie das bejahte (das ist hier so eine Floskel, auf die man eigentlich immer mit ja antwortet), drehte der Polizist sich um und ging wieder.

Kapitel 3: Kakerlaken und Geckos

Hier gibt es richtig viele von diesen beigefarbenen Geckos, die die Wände hochlaufen und an der Decke krabbeln. (Letzens machte es plötzlich plumps und einer war auf mir gelandet. Ich war ziemlich perplex und er krabbelte meinen Schal hoch und sprang mir dann von der Schulter). Wir haben auch eine Familie in unserem Haus, die wir aber sehr mögen, da sie gerne Schnaken essen. Ich saß in dem Raum, der nicht unser Zimmer ist, und telefonierte, als ich in der Küche eine riesige Kakerlake entdeckte. Ich überlegte kurz und beschloss, sie zu ignorieren und zu hoffen, dass sie einfach verschwinden würde. Die Kakerlake ihrerseits beschloss aber, auf mich zuzulaufen, was mich dann dazu bewog, einen Besen zu holen. Ich drehte mich also kurz um, um den Besen zu ergreifen, und als ich den Kampf aufnehmen wollte, war die Kakerlake plötzlich weg. Misstrauisch schaute ich mich um und hoffte, dass sie nicht bei uns ins Zimmer gerannt war, als mein Blick auf den Geckopapa fiel: er hatte die Kakerlake quer im Mund und verspeiste sie mit einigen Knackgeräuschen. Seitdem mag ich die Geckos noch lieber! 

 Kapitel 4: Knoblauch

Annika war heute krank, weshalb ich alleine im Projekt war. Das ist immer nicht so prickelnd, weil oft eher langweilig. Heute habe ich meinen Morgen dann damit verbracht, zwanzig (!!!!) Knoblaeuche zu schaelen. Falls jemand wie ich schon mal so viel Knoblauch ohne Messer bearbeitet hat, wird er bestimmt nachvollziehen koennen, dass einem irgendwann tatsaechlich die Finger anfangen zu brennen. Vor Vampiren bin ich hier auf jeden Fall geschuetzt!

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Darf ich vorstellen...

Mein neuer bester Freund, er heisst Wilhelm (auch wenn mein Name auf dem Schutzblech steht). Wilhelm traegt mich seit Dienstag ueber die East Coast Road, wo wir uns neben anderen Fahrraedern, meist gefahren von alten Maennern oder Schulkindern, bunt angemalten Lastern, hupenden Bussen, Rikshas mit lauter Musik, Motorraedern mit drei Personen drauf, Ochsenkarren und anderen skurrilen Gefaehrten in den Verkehr mischen. Zwischen uns ist es so eine Art Hassliebe:  Leider komme ich naemlich noch nicht so ganz mit seiner Groesse klar: er ist wohl eher auf Inder abgestimmt und sogar meine kurzen Beine sind schon zu lang fuer ihn, weshalb ich keine zu scharfen Kurven fahren darf, um nicht damit gegen den Lenker zu stossen. Die doch so praktische Erfindung der Gangschaltung ist leider auch noch nicht in Indien angekommen.
Trotzdem liebe ich ihn dafuer, dass er mich mobil macht und mir somit ganz andere Moeglichkeiten eroeffnet (zum Beispiel Besuche am Strand). Ausserdem tut so ein bisschen Bewegung doch ganz gut.

Samstag, 11. Oktober 2014

Winter is coming

Hier zur Einstimmung zum Thema Landarbeit mal zwei geschmueckte Schlepper, wie man sie hier sehr oft sieht-typisch Indien: hier werden sogar die Muelllaster bunt bemalt
Das mit den Jahreszeiten ist hier ja ein bisschen anders-letzte Woche hatten die Kinder zumindest Winterferien (das heißt nicht, dass hier jetzt Winter ist. Die Temperatur schwankt zwischen 27 Grad nachts und 35 Grad tagsüber) Die Schulen waren geschlossen und die Kinder in unserem Projekt sind nach Hause zu ihren Familien gefahren. Freiwillige, die mit Kindern arbeiten, haben also in dieser Zeit nichts zu tun, weshalb FSL ein Wintercamp organisiert hat.
Wir fuhren also für eine Woche in ein Dorf in der Nähe von Pondicherry und halfen in einem Projekt mit, in dem auch einer von unserer deutschen Gruppe platziert ist. Insgesamt waren wir acht Freiwillige aus der Region.
Das Projekt, in dem wir waren, heißt Sristi Foundation und ist wirklich etwas ganz besonderes. Die Vision des Gründers Karthik ist es, dass Menschen mit und ohne Behinderung zusammen in einem Dorf leben, das sich selbst versorgt. Karthik ist selbst in einem Waisenhaus mit ähnlichem Konzept aufgewachsen, dessen Leitung er mit 18 übernommen hat. Nebenher hat er noch Psychologie studiert und nun arbeitet er seit an einem Jahr an seinem neuen Projekt, dem Sristi Village. Das Projekt ist wie eine kleine Familie, bunt zusammengewürfelt aus verschiedensten Menschen, die zusammen leben und arbeiten. Außerdem gibt eine Schule für behinderte Kinder und ein großes Stück Land, das irgendwann einmal die Versorgung der Gemeinschaft sichern soll. Zu diesem Zweck arbeitet Charlotte, eine ältere US-Amerikanerin im Projekt: ihre Vision ist es, das Land so zu bestellen, dass es nicht nur die Ernährung sichert, sondern auch noch Geld einbringt. Um diesem Traum (der noch in weiter Ferne liegt) wenigstens ein kleines Stück näher zu kommen, waren wir da. Wir verbrachten in dieser Woche zehn Stunden unseres Tages auf dem Acker (wobei wir nur von acht bis halb elf und von halb vier bis halb sechs arbeiteten. Die restliche Zeit verbrachten wir im Schatten eines extra für uns errichteten Unterstands und schliefen, lasen oder spielten Doppelkopf).


 Die ersten Tage pflanzten wir Kokospalmen und befreiten die zum Garten auserkorene Stelle auf dem Land von äußerst lästigem Unkraut (keiner wusste genau, was das war, aber die Wurzel reicht bei manchen Pflanzen ungefähr fünfzig Zentimeter in die Erde. Wir bildeten Zweierteams und einer lockerte mit einem mehrere Kilo schweren Metallstab mit spitzem Ende die Erde auf, indem er den Stab mit Schwung in die Erde rammte und dann die Pflanze und möglichst viel der Wurzel hochhebelte. Meistens kam nur ein kleiner Teil der Wurzel mit, weshalb der zweite im Bunde dann begann, nach der restlichen Wurzel zu graben. Diese langwierige Prozedur wiederholten wir zwei Tage lang, bis der eigentlich relativ kleine Garten zumindest oberflächlich sauber war. Wie viele Wurzeln noch in der Erde stecken und wieder austreiben, wird sich bald zeigen). Die restlichen Tage streuten wir Hanfsamen auf den restlichen Teil des Landes (wie viel davon was wird, wird sich dann auch zeigen… ich bezweifle allerdings, dass die Samen, die wir wild auf die trockene und harte Erde gestreut haben, sich durchsetzen können). 


Eine andere Aufgabe war es, den Gartenbereich zu designen: Mit dünnen Ästen und Bananenblättern wurden Beete und Wege gelegt und dann besät. Die Kurven sind nicht nur aus stilistischen Gründen, sondern auch, weil Insekten nur gerade Wege gehen und deshalb so die Pflanzen nicht schädigen (laut Charlotte). 


Auch für den interkulturellen Austausch war gesorgt: neben den Bewohnern des Projekts kamen die ersten paar Tage eine komplette Schulklasse und danach immer noch ein paar Kinder aus dem Dorf, um uns zu helfen. Vor allem am Anfang war das allerdings mehr Stressfaktor als Hilfe: natürlich gab es nicht genügend Geräte und Aufgaben für vierzig Leute mehr, außerdem waren die Kinder auch viel mehr daran interessiert, uns zu fotografieren und beim Arbeiten zu beobachten, als selbst zu arbeiten. Die mutigeren der Gruppe trauten sich auch, mit uns zu reden (während wir arbeiteten). So schafften wir mit vierzig Arbeitern mehr leider nicht mehr Arbeit und jegliches System, mit dem wir den Garten bearbeitet hatten, wurde zerstört. Im Laufe der Woche wurde das aber besser, weil nicht mehr die ganze Schulklasse anrückte (ich habe sowieso nicht verstanden, was das sollte: Die Kinder haben Ferien, wieso kommen sie dann klassenweise mit Lehrer zum Arbeiten? Manche hatten sogar ihre Schuluniform an). Die Mehrheit der Kinder, die gegen Ende der Woche noch kam, war dann auch wirklich eine Hilfe und letztendlich haben wir doch einiges geschafft-es war wirklich schön, mal ein Ergebnis der Arbeit zu sehen.
Insgesamt hatten wir eine spannende, abwechslungsreiche und lustige Woche. Es tat gut, mal etwas anderes zu sehen und zu tun und es ist schön zu wissen, dass wir jetzt Teil der Sristi Familie sind.