Darum hier: das Westbank-Seminar in Momenteindrücken.
Die Mauer in Bethlehem, vermutlich die meistfotografierte Mauer in Israel (noch vor der Klagemauer. Aber wie gesagt, das ist eine Vermutung). In Europa wird für den Mauerabriss protestiert, dabei ist der Mauerbau noch nicht mal gestoppt: im Süden der Westbank ist alles offen, die Grenzpolizei kommt nur alle paar Stunden einmal raus. Darum gilt: NATÜRLICH kann man die Westbank verlassen, wenn man will und Bekannte (Palästinenser natürlich) in Israel hat. Es wurde zwar erheblich erschwert und ist auch nicht ganz ungefährlich, weil in Israel oft und ausgiebig Passkontrollen durchgeführt werden, wobei natürlich jeder ohne Erlaubnis sofort auffliegt und ins Gefängnis verfrachtet wird, von wo man nur auf Kaution wieder freikommt, aber es ist nicht unmöglich. So viel auch zu Israels Argument, durch die Mauer wären die Selbstmordattentate erheblich zurückgegangen. Stimmt, die Selbstmordattentate sind zurückgegangen, aber wer sich nun unbedingt in die Luft sprengen will, kann es nach Israel schaffen. Wahrscheinlicher ist also, dass es an einem Mix aus Mauer, Regierungswechsel in der Westbank und der Erkenntnis der Palästinenser, dass sie durch die Zweite Intifada nur Nachteile erlitten haben, liegt.
Das gefühlt größte Problem der Palästinenser auf den Punkt gebracht: No peace without justice. No justice without return. Palästinenser, die seit 1948 und vor allem in der Westbank seit 1976 aus ihren Dörfern, Städten und Häusern vertrieben wurden, wollen bis heute dorthin zurückkehren. Da merkt man wieder einmal, wie sehr sich die arabische Kultur von der westlichen unterscheidet: Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg lebten sich dort ein, wo sie gelandet waren - und die Araber leben so, dass noch die zweite Generation, die nicht auf dem ursprünglichen Grund und Boden geboren wurde, unbedingt dorthin zurückkehren will. Das geht so weit, dass alle drei bis vier Monate Treffen abgehalten werden, in denen die Alten, die noch in den verlorenen Dörfern gelebt haben, Geschichten und Anekdoten erzählen, damit ja nichts in Vergessenheit gerät. Dann gibt es noch die Siedlungen in der Westbank, die vor 1948 gebaut wurden (also vor Aufteilungsplan der UN in einen jüdischen und einen palästinenschen Staat, und damit damals legal) - und die wollen natürlich auch nicht aus ihren Häusern raus, verständlicherweise (wir sprechen jetzt nicht von den verrückten, gewalttätigen ideologischen Siedlern, die zum Beispiel auf Aufforderung Ariel Sharons (ehemaliger Ministerpräsident von Israel) anfingen in der Westbank zu siedeln:
"Everybody has to move, run and grab as many hilltops as they can... Everything we don't grab will go to them" (1998)).Das ganze macht eine Zwei-Staaten-Lösung irgendwie auch weniger überzeugend...
Kinder aus dem Aida Refugee Camp in Bethlehem beim Wasserholen. Aus der Tonne. Auf einem alten Friedhof. (Immerhin gab's ein Sonnensegel). (Nebenbei: mehr als 50% der Palästinenser werden von der UN als Flüchtlinge gesehen). Wir wurden durch Aida Camp geführt und haben mit zwei Männern, die dort bereits ihr ganzes Leben lang wohnen, gesprochen. Zitat des Nachmittags: I have four children. (...) Four boys and one girl.
Die erste Nacht haben wir im Tent of Nations verbracht - ulkigerweise, denn bevor ich nach Israel gegangen bin, hat meine Großmutter mir einen Zeitungsartikel darüber geschickt und gemeint, das müsste ich mir in dem Jahr doch mal ansehen... Die Familie Nasser besitzt ihr Land schon seit 1916 (während der britischen Mandatszeit), aber trotzdem müssen sie sich immer noch mit Regierung und Armee herumschlagen: sie dürfen keine Häuser bauen, haben Probleme mit der Wasserversorgung und werden - ihren Angaben nach - gelegentlich davon wach, dass Soldaten in ihrem Schlafzelt stehen und ihen das Gewehr ins Gesicht halten. Solche nächtlichen Störungen gab es bei uns nicht, aber als wir ankamen, mit Sack und Pack (= Rucksack und Schlafsack nebst genügend Wasser in Flaschen zum Waschen am nächsten Morgen), standen wir erst einmal vor einem geschlossenen Tor und ans Handy ging natürlich auch niemand. Nebenbei: es war heiß! Frans ist schließlich über den Zaun gestiegen und hat Rettung aus dieser misslichen Lage angefordert.
Das kleine Dorf At Tuwani, in dem CPT (Christian Peacemaker Teams) stationiert sind: denn die Kinder aus dem Nachbardorf Tuba, die in At Tuwani zur Schule gehen, und Schafhirten, die ihre Herden auf den nicht vorhandenen Wiesen grasen lassen, werden regelmäßig von Siedlern aus der Siedlung Ma'on angegriffen: mit Worten, mit Steinen, mit Gewehrkugeln. Die CPTs - die dem Prinzip der Gewaltlosigkeit folgen - sind dazu da, um zu dokumentieren, zu berichten und sich im Notfall als menschliches Schutzschild zwischen die Siedler und die Kinder zu stellen, denn körperliche Gewalt irgendeiner Form als Verteidigung ist verboten.
Der Satz Just because it's legal doesn't mean it's just (Nur weil es legal ist, heißt das noch nicht, dass es auch gerecht ist) hat uns der örtliche Mitarbeiter des CPT in At Tuwani gesagt (es wird immer noch diskutiert, ob er Kolumbianer oder Amerikaner aus Columbia ist); er hat das israelische Rechtssystem kritisiert, das es seiner Aussage nach sehr einfach macht, zum Beispiel Palästinenser aus ihren Dörfern zu vertreiben - offziell legal, aber eindeutig nicht gerecht.
Die Siedlungen haben einen äußerst äußerst äußerst schlechten Ruf, und wenn man alleine durch die Westbank reist, sind sie nicht unbedingt der erste Ort, den man aufsucht. Wir waren jedoch in Alon Shevut ( אלון שבות), einer Siedlung, die zu Gush Etzion gehört (also der Etzion Block, eine Gruppe von Siedlungen, die vor 1948 gebaut wurden, obwohl das Unternehmen zwei Mal scheiterte, und die jetztigen Siedlungen wurden erst nach dem Sechs-Tage-Krieg wieder errichtet. Es ist also immer noch relativ fragwürdig, ob sie jetzt legal oder illegal sind). Dort sprachen wir mit Rabbi Rafi Ostroff, der uns unter anderem das Yeshiva (eine Tora-Schule) der Siedlung zeigte und uns dann in sein Haus einlud. Er hatte natürlich eine völlig andere Meinung und Sicht auf das Ganze, aber uns beschlich der Verdacht, dass er die Sache vermutlich auch nicht völlig objektiv anging: wer behauptet, dass alle Gerüchte über Straßen nur für Israelis und Wasserraub an den Palästinensern völliger Unsinn sind, aber auf allen Straßenschildern um seine Siedlung herum die arabischen Namen mit Graffiti übersprüht wurden, hat vermutlich etwas nicht mitbekommen. Trotzdem hatte er Recht: immer wird von Israel erwartet und gefordert, dass es mit europäischen (Werte)Standards handelt - ohne zu bedenken, dass um Israel herum überhaupt keine europäischen Standards herrschen. Wenn die Holländer in Enschede die ganze Zeit Raketen auf Gronau in Westfalen schießen würden, und die Polen, die Schweizer, die Österreicher und die Tschechen nicht eher ruhen wollten, als bis der deutsche Staat ins Meer getrieben ist - dann würden die Deutschen vermutlich auch nicht mehr nach euroäischen Moralvorstellungen und Werten handeln. Damit will ich gar nicht die Unterdrückung rechtfertigen und das System, das teilweise sehr an Apartheid erinnert - die sind nämlich nicht zu rechtfertigen - aber trotzdem muss man sehen, dass Israel auch unter sehr viel größerem (Existenz)Druck steht als wir.
Eine Straße in H2 in Hebron. (Im März war ich im Zuge meines Bethlehemaufenthaltes schon einmal in Hebron, wer sich nicht erinnert: einfach nachlesen). Die Gitter über der Straße sind dazu da, um die Siedler daran zu hindern, die unten stehenden und gehenden Palästinenser mit Stühlen, Steinen und Flaschen zu bewerfen. Neue Lösung: Urin.
Leicht abgegammelt nach der Nacht, die wir in Kleingruppen bei palästinensischen Familien in Hebron verbracht haben. Auf dem Bild fehlen ein paar Kinder der Familie, aber Badia und seine Frau sind zumindest drauf. Interessanterweise ist sie religiös, er überhaupt nicht (mehr). Wir haben ein wunderbares zweites Abendessen, viel Tee und gute Gespräche auf dem Balkon bekommen (und danach in Barbiebetten übernachtet). Völlig untypisch für Palästinenser: Badia war ein paar Jahre in israelischen Gefängnissen, wollte aber nicht sagen wofür, und das posaunen sie normalerweise recht freizügig heraus. ('I was six years in prison because I threw grenades at Israeli troops!')
Raffaels Gastvater läutete die Vorstellungsrunde folgendermaßen ein: "This my oldest daughter. I have more 7 children and 6 daughters."