Zuerst hatte ich nichts zu erzählen und dann war plötzlich so viel auf einmal los, dass ich nicht dazu kam, einen Blogeintrag zu schreiben- aber das hole ich jetzt alles nach. Nachdem ich in den ersten zwei Monaten gefühlt nichts außerhalb von Curitiba unternommen habe, war ich jetzt die letzten paar Wochenenden in halb Brasilien unterwegs und bin jetzt ganz froh, mal wieder länger als vier Tage am Stück daheim zu sein.
Ich fange jetzt einfach mal von hinten an, mit unserem Ausflug zum Oktoberfest in Blumenau. Ganz Südbrasilien ist geprägt von europäischen Einwanderern (also, ganz Brasilien ist natürlich geprägt von europäischen Einwanderern. In anderen Regionen sind aber die Indigenen- und die Afro-Einflüsse viel stärker und in Südbrasilien waren es neben den Portugiesen vor allem italienische und deutsche Einwanderer.)
Vor allem im Bundesstaat Santa Catarina gibt es viele Siedlungen, die von Deutschen gegründet wurden und die noch heute auf ihre deutschen Wurzeln stolz sind und diese Kultur pflegen. Eine dieser Städte ist Blumenau, 1850 von Hermann Bruno Otto Blumenau gegründet (so viel Selbstbewusstsein muss man erst mal haben, eine ganze Stadt nach sich selbst zu benennen. Ich sehe momentan irgendwie noch keine Stadt namens Späth vor mir). Ich machte mich am Samstag um sieben Uhr morgens mit Friederike und Marion, zwei anderen Austauschstudentinnen, auf den Weg. Von Curitiba aus fährt man ungefähr vier Stunden durchs Hinterland, mitten durch den Atlantischen Regenwald und vorbei an vielen kleinen Dörfern. Blumenau hat gut 330.000 Einwohner und ist irgendwie eine komische Stadt. Das Rathaus sieht aus wie ein riesiges Schwarzwaldhaus mit Palmen davor. Wir haben in einem Airbnb am Stadtrand übernachtet und hatten einen schönen Ausblick auf den Regenwald. Es gibt viele Restaurant- oder Straßennamen auf Deutsch, aber eigentlich können es die wenigsten- die meisten Leute, mit denen wir geredet haben, haben gemeint, dass sie zwar deutsche Vorfahren haben und ihre Großeltern oder sogar Eltern auch Deutsch können, aber sie selbst nicht.
Auf dem Rückweg zum Busbahnhof haben wir dann tatsächlich noch jemanden aus der Generation getroffen, in der die Sprache hängengeblieben ist: unser uber-Fahrer war schon etwas älter und hat uns in fast tadellosem Deutsch erzählt, dass seine Großeltern damals aus Deutschland gekommen sind und auch bis zum Ende kaum Portugiesisch konnten, weshalb er von ihnen Deutsch gelernt hat, an seine Kinder hat er das dann allerdings nicht mehr weitergegeben. Dann hat er uns noch erzählt, dass er einmal, vor vielen Jahren, mit der Trachtengruppe, die antike Fahrräder fährt, nach München eingeladen wurde und sie da mit den Fahrrädern beim Festumzug mitgefahren sind.
Wir sind also gegen Mittag in Blumenau angekommen und haben uns dann ziemlich bald aufgemacht, um den Trachtenumzug anzuschauen, bei dem verschiedene Gruppen aus der Region durch die Innnenstadt ziehen. Die ersten paar Gruppen waren auch sehr traditionell, ältere Frauen in hübschen Dirndln und ältere Herren in Hosen, die einen ähnlichen Schnitt haben wie eine Lederhose, aber nicht aus Leder sind, sondern aus einfachem Stoff, direkt gefolgt von verschiedenen Blaskapellen und Schützenvereinen. Mit der Zeit wurde das ganze aber immer skurriler, die Outfits immer weniger traditionell, die Musik immer lauter und der Bierkonsum immer höher. Viele Gruppen haben einen Wagen dabei, hauptsächlich, um die Bierfässer zu transportieren und die Menge mit Musik zu beschallen. Hier bekamen wir schon einen kleinen Vorgeschmack auf die Musik des Abends: im Repertoire gibt es ein paar deutsche Lieder (zum Beispiel das Fliegerlied und Drei Chinesen mit dem Kontrabass), ein paar Lieder über Blumenau auf Deutsch und dann noch ein paar auf Portugiesisch.
Die Stimmung war gut, auch wenn es irgendwann anfing zu regnen. So richtig sicher waren wir uns nicht, wie wir das ganze finden sollten-irgendwas zwischen Tradition und Karneval, zwischen Deutschland und Brasilien, zwischen lustig und skurril.
Abends sind wir dann losgegangen zur Vila Germânica, eine Art riesiges Messegelände, wo das Oktoberfest stattfindet. Für eine Stadt von dieser Größe ist die Anlage elf Monate im Jahr total überdimensioniert, aber im Oktober (dieses Oktoberfest findet nämlich tatsächlich im Oktober statt) herrscht für vier Wochen Ausnahmezustand, letztes Jahr hatte das Oktoberfest über 500.000 Besucher und war damit nach dem Original in München und einer Veranstaltung in Kanada nach Besucherzahlen das drittgrößte Oktoberfest der Welt. Unser Airbnb lag in Fußnähe zum Festgelände, wir zeigten unsere Eintrittskarten vor (der Eintritt kostet für Studenten ungefähr acht Euro, für andere das doppelte) und machten uns auf die Suche nach einem anderen Grüppchen von deutschen Austauschschülern, die schon einen Tag früher gekommen waren. So ging der Abend los, und so ging der Abend weiter: ständig hat man jemanden gesucht, gefunden, verloren. Die Anlage ist einfach riesig und kam mir zwischendurch sehr labyrinthartig vor, von einer Halle kommt man in die andere, alles ist voll, ähnlich, und man denkt zwischendurch, dass man nie wieder den Ausgang findet. Wahrscheinlich wäre alles nicht so kompliziert, wenn man sich alles bei Tageslicht und ohne Menschenmassen anschauen würde, aber mir kam alles sehr verwirrend und unübersichtlich vor. Der letzte Samstag des Fests ist anscheinend auch der vollste und auch von den Austauschstudenten aus Curitiba waren viele da (wenige habe ich tatsächlich getroffen). In jeder Halle spielte eine Band auf der Bühne, allerdings konnte man sie daran auch kaum unterscheiden: alle hatten ungefähr das gleiche Repertoire von höchstens 15 Liedern, die einem noch Tage später in einem wilden Remix durch den Kopf wirbeln (Und ich flieg, flieg, flieg wie ein Flieger- Zicke Zacke Oi Oi Oi Oktoberfest a gente vai- Eeeeeisgekühlter Bommerlunder- und ich flieg, flieg, flieg wie ein Flieger) Als Ausnahme kamen zwischendurch auch mal aktuellere Lieder, aber das war wirklich eher die Ausnahme. Ein paar der Bands kamen sogar extra aus Deutschland angereist, aber so genau konnte man das oft nicht unterscheiden und auch die deutschen Bands hatten nur eine sehr begrenzte Auswahl an Liedern im Gepäck (Ich kenne mich jetzt ja auch nicht so gut aus mit diesem Genre, aber das Fliegerlied ist jetzt ja auch schon ein paar Jahre alt und Helene Fischer habe ich kein einziges Mal gehört...) Die Bands hatten meistens auch noch ein paar Tänzer dabei, die auf der Bühne herumsprangen und Choreographien vorführten, die das Publikum dann nachgetanzt hat.
Übrigens dauert die Party auch bis in die frühen Morgenstunden und es gibt zwar ein paar Bierbänke, aber getanzt wird auf den Tanzflächen der verschiedenen Hallen. Das Bier gibt es in 0.4 Liter Plastikbechern. Vor allem draußen, vor den Hallen, gibt es viele kleine Fressbuden mit allerlei Essen, unter anderem auch deutschen Gerichten. Für uns gab es zwischendurch mal eine belegte Brezel, die richtig lecker war.
Noch ein Wort zum Dresscode der Oktoberfest-Besucher. Überraschend viele Leute kamen in Tracht, oder das, was sich daraus entwickelt hat. Während in Bayern Dirndl, die nicht bis zum Knie gehen, als Verunstaltung der Tracht gelten, sind hier in Brasilien der Fantasie keine Grenzen gesetzt. "Lederhosen" aus Stoff in allen möglichen Farben und Kleider im Dirndl-Stil, wo aber das eigentliche Dirndl nur bis unter die Bluse geht und die bei mancher bayrischer Oma bestimmt einen Herzinfarkt auslösen würden. Außerdem, warum auch immer, hatten die meisten Mädels einen Kopfschmuck aus Blumen auf (den Trend haben wir dann auch mitgemacht- einer der Deutschen begrüßte mich mit den Worten: "Oh, hast du auch so einen Real-Life-Instagram-Filter auf dem Kopf?").
Nun, wir hatten eine erlebnisreiche Nacht, mit viel Tanzen, Suchen und Finden, Herumdrängeln in der Menge, Warten in der Toiletten-Schlange, Bier und Brezn und eisgekühltem Bommerlunder und ich fand den Ausflug auf vielen Ebenen sehr interessant und lohnenswert (angefangen von der Party, bis hin zur durch Einwanderung geschaffenen Kultur, die man in Blumenau sehr gut beobachten kann).
Zum Abschluss hier noch ein Link zum Fliegerlied á la Blumenau, genießt es ;)
Ich fange jetzt einfach mal von hinten an, mit unserem Ausflug zum Oktoberfest in Blumenau. Ganz Südbrasilien ist geprägt von europäischen Einwanderern (also, ganz Brasilien ist natürlich geprägt von europäischen Einwanderern. In anderen Regionen sind aber die Indigenen- und die Afro-Einflüsse viel stärker und in Südbrasilien waren es neben den Portugiesen vor allem italienische und deutsche Einwanderer.)
Vor allem im Bundesstaat Santa Catarina gibt es viele Siedlungen, die von Deutschen gegründet wurden und die noch heute auf ihre deutschen Wurzeln stolz sind und diese Kultur pflegen. Eine dieser Städte ist Blumenau, 1850 von Hermann Bruno Otto Blumenau gegründet (so viel Selbstbewusstsein muss man erst mal haben, eine ganze Stadt nach sich selbst zu benennen. Ich sehe momentan irgendwie noch keine Stadt namens Späth vor mir). Ich machte mich am Samstag um sieben Uhr morgens mit Friederike und Marion, zwei anderen Austauschstudentinnen, auf den Weg. Von Curitiba aus fährt man ungefähr vier Stunden durchs Hinterland, mitten durch den Atlantischen Regenwald und vorbei an vielen kleinen Dörfern. Blumenau hat gut 330.000 Einwohner und ist irgendwie eine komische Stadt. Das Rathaus sieht aus wie ein riesiges Schwarzwaldhaus mit Palmen davor. Wir haben in einem Airbnb am Stadtrand übernachtet und hatten einen schönen Ausblick auf den Regenwald. Es gibt viele Restaurant- oder Straßennamen auf Deutsch, aber eigentlich können es die wenigsten- die meisten Leute, mit denen wir geredet haben, haben gemeint, dass sie zwar deutsche Vorfahren haben und ihre Großeltern oder sogar Eltern auch Deutsch können, aber sie selbst nicht.
Auf dem Rückweg zum Busbahnhof haben wir dann tatsächlich noch jemanden aus der Generation getroffen, in der die Sprache hängengeblieben ist: unser uber-Fahrer war schon etwas älter und hat uns in fast tadellosem Deutsch erzählt, dass seine Großeltern damals aus Deutschland gekommen sind und auch bis zum Ende kaum Portugiesisch konnten, weshalb er von ihnen Deutsch gelernt hat, an seine Kinder hat er das dann allerdings nicht mehr weitergegeben. Dann hat er uns noch erzählt, dass er einmal, vor vielen Jahren, mit der Trachtengruppe, die antike Fahrräder fährt, nach München eingeladen wurde und sie da mit den Fahrrädern beim Festumzug mitgefahren sind.
In der Innenstadt |
Das Rathaus |
Wir sind also gegen Mittag in Blumenau angekommen und haben uns dann ziemlich bald aufgemacht, um den Trachtenumzug anzuschauen, bei dem verschiedene Gruppen aus der Region durch die Innnenstadt ziehen. Die ersten paar Gruppen waren auch sehr traditionell, ältere Frauen in hübschen Dirndln und ältere Herren in Hosen, die einen ähnlichen Schnitt haben wie eine Lederhose, aber nicht aus Leder sind, sondern aus einfachem Stoff, direkt gefolgt von verschiedenen Blaskapellen und Schützenvereinen. Mit der Zeit wurde das ganze aber immer skurriler, die Outfits immer weniger traditionell, die Musik immer lauter und der Bierkonsum immer höher. Viele Gruppen haben einen Wagen dabei, hauptsächlich, um die Bierfässer zu transportieren und die Menge mit Musik zu beschallen. Hier bekamen wir schon einen kleinen Vorgeschmack auf die Musik des Abends: im Repertoire gibt es ein paar deutsche Lieder (zum Beispiel das Fliegerlied und Drei Chinesen mit dem Kontrabass), ein paar Lieder über Blumenau auf Deutsch und dann noch ein paar auf Portugiesisch.
Die Stimmung war gut, auch wenn es irgendwann anfing zu regnen. So richtig sicher waren wir uns nicht, wie wir das ganze finden sollten-irgendwas zwischen Tradition und Karneval, zwischen Deutschland und Brasilien, zwischen lustig und skurril.
Abends sind wir dann losgegangen zur Vila Germânica, eine Art riesiges Messegelände, wo das Oktoberfest stattfindet. Für eine Stadt von dieser Größe ist die Anlage elf Monate im Jahr total überdimensioniert, aber im Oktober (dieses Oktoberfest findet nämlich tatsächlich im Oktober statt) herrscht für vier Wochen Ausnahmezustand, letztes Jahr hatte das Oktoberfest über 500.000 Besucher und war damit nach dem Original in München und einer Veranstaltung in Kanada nach Besucherzahlen das drittgrößte Oktoberfest der Welt. Unser Airbnb lag in Fußnähe zum Festgelände, wir zeigten unsere Eintrittskarten vor (der Eintritt kostet für Studenten ungefähr acht Euro, für andere das doppelte) und machten uns auf die Suche nach einem anderen Grüppchen von deutschen Austauschschülern, die schon einen Tag früher gekommen waren. So ging der Abend los, und so ging der Abend weiter: ständig hat man jemanden gesucht, gefunden, verloren. Die Anlage ist einfach riesig und kam mir zwischendurch sehr labyrinthartig vor, von einer Halle kommt man in die andere, alles ist voll, ähnlich, und man denkt zwischendurch, dass man nie wieder den Ausgang findet. Wahrscheinlich wäre alles nicht so kompliziert, wenn man sich alles bei Tageslicht und ohne Menschenmassen anschauen würde, aber mir kam alles sehr verwirrend und unübersichtlich vor. Der letzte Samstag des Fests ist anscheinend auch der vollste und auch von den Austauschstudenten aus Curitiba waren viele da (wenige habe ich tatsächlich getroffen). In jeder Halle spielte eine Band auf der Bühne, allerdings konnte man sie daran auch kaum unterscheiden: alle hatten ungefähr das gleiche Repertoire von höchstens 15 Liedern, die einem noch Tage später in einem wilden Remix durch den Kopf wirbeln (Und ich flieg, flieg, flieg wie ein Flieger- Zicke Zacke Oi Oi Oi Oktoberfest a gente vai- Eeeeeisgekühlter Bommerlunder- und ich flieg, flieg, flieg wie ein Flieger) Als Ausnahme kamen zwischendurch auch mal aktuellere Lieder, aber das war wirklich eher die Ausnahme. Ein paar der Bands kamen sogar extra aus Deutschland angereist, aber so genau konnte man das oft nicht unterscheiden und auch die deutschen Bands hatten nur eine sehr begrenzte Auswahl an Liedern im Gepäck (Ich kenne mich jetzt ja auch nicht so gut aus mit diesem Genre, aber das Fliegerlied ist jetzt ja auch schon ein paar Jahre alt und Helene Fischer habe ich kein einziges Mal gehört...) Die Bands hatten meistens auch noch ein paar Tänzer dabei, die auf der Bühne herumsprangen und Choreographien vorführten, die das Publikum dann nachgetanzt hat.
Übrigens dauert die Party auch bis in die frühen Morgenstunden und es gibt zwar ein paar Bierbänke, aber getanzt wird auf den Tanzflächen der verschiedenen Hallen. Das Bier gibt es in 0.4 Liter Plastikbechern. Vor allem draußen, vor den Hallen, gibt es viele kleine Fressbuden mit allerlei Essen, unter anderem auch deutschen Gerichten. Für uns gab es zwischendurch mal eine belegte Brezel, die richtig lecker war.
Noch ein Wort zum Dresscode der Oktoberfest-Besucher. Überraschend viele Leute kamen in Tracht, oder das, was sich daraus entwickelt hat. Während in Bayern Dirndl, die nicht bis zum Knie gehen, als Verunstaltung der Tracht gelten, sind hier in Brasilien der Fantasie keine Grenzen gesetzt. "Lederhosen" aus Stoff in allen möglichen Farben und Kleider im Dirndl-Stil, wo aber das eigentliche Dirndl nur bis unter die Bluse geht und die bei mancher bayrischer Oma bestimmt einen Herzinfarkt auslösen würden. Außerdem, warum auch immer, hatten die meisten Mädels einen Kopfschmuck aus Blumen auf (den Trend haben wir dann auch mitgemacht- einer der Deutschen begrüßte mich mit den Worten: "Oh, hast du auch so einen Real-Life-Instagram-Filter auf dem Kopf?").
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Zaki, ein Japaner aus meinem Sprachkurs-einer von denen, die ich zwischendurch gefunden und dann wieder verloren habe |
Nun, wir hatten eine erlebnisreiche Nacht, mit viel Tanzen, Suchen und Finden, Herumdrängeln in der Menge, Warten in der Toiletten-Schlange, Bier und Brezn und eisgekühltem Bommerlunder und ich fand den Ausflug auf vielen Ebenen sehr interessant und lohnenswert (angefangen von der Party, bis hin zur durch Einwanderung geschaffenen Kultur, die man in Blumenau sehr gut beobachten kann).
Zum Abschluss hier noch ein Link zum Fliegerlied á la Blumenau, genießt es ;)