Ich sitze in meinem Zimmer (in dem es übrigens fast indische
Temperaturen und keinen Fan hat) und kann es kaum fassen: vor weniger als drei
Wochen war ich noch in Indien. Mir erscheint das jetzt schon wieder so fern und
ich habe das Gefühl, dass in der Zeit hier jetzt schon wieder so viel passiert
ist, deshalb ist es irgendwie komisch, über Indien zu schreiben. Aber natürlich
möchte ich euch doch noch erzählen, wie wir uns aus dem Projekt verabschiedet
haben, was danach passiert ist und wie es jetzt weitergeht!
1. Abschied
Unsere letzten Wochen waren wirklich nochmal sehr
vollgepackt und so verging die Zeit bis zum Abschied letztendlich wirklich
schnell. Am Sonntag, 21. Juni, wollten wir abends in den Zug nach Kerala
steigen. Abschiede sind ja nun wirklich gar nicht mein Ding und ich hatte
wirklich ein bisschen Angst vor dem Tag und der ganzen Situation. Letztendlich
war es wie erwartet traurig, aber irgendwie auch schön. Am Samstag bekamen wir noch eine kleine
function abends: zuerst wurden wir von den Mädchen (wunderschön…) geschminkt
und frisiert, es wurde ein bisschen gebetet, die Kinder haben für uns getanzt,
wir bekamen Geschenke überreicht (unter anderem ein dickes Frottee-Handtuch.
Ich wundere mich immer noch, welcher Sinn da dahinter steckt) und wurden mit
fettigen Süßigkeiten gefüttert. Besonders schön war, als verschiedene Kinder
auf die Bühne kamen und gesagt haben, was sie von uns gelernt haben, an uns
mögen und vermissen werden. Das war schon wirklich emotional und es flossen
einige Tränen. Es war dann schon ziemlich spät und die Mädchen wünschten sich,
dass wir bei ihnen übernachten, weshalb wir die letzte Nacht in ihrer Mitte
verbrachten (und nur so mittelgut schliefen). Das führte dann zu ein bisschen
Stress am Sonntag, aber zum Glück hatten wir eigentlich schon fast alles fertig
gepackt. Am Sonntag waren wir dann in der Kirche und nach dem Mittagessen
mussten wir langsam anfangen, uns zu verabschieden, was wirklich herzzerreißend
war. Fast alle von den Mädchen haben geweint (vor allem, nachdem ich dann in
Tränen ausgebrochen war), ein paar von den Jungs und die Mitarbeiterinnen. Ich
war froh, als wir alles hinter uns hatten und ins Auto stiegen. Das war zum
Abschluss noch ein sehr guter Einfall von Charles: er hatte ein Auto
organisiert, um uns zum Bahnhof zu bringen. Unterwegs lieferten wir noch unsere
Gastschwester Rose im Bibel College ab und waren letztendlich bestimmt genauso
lange unterwegs, wie wir es mit dem Bus gewesen wären, aber mein Rucksack war
so unglaublich schwer, dass ich ihn nicht alleine aufsetzen konnte, was sehr unangenehm
gewesen wäre im Bus. So stiegen wir um kurz vor acht in den Zug nach Kerala und
verabschiedeten uns von unserem Leben im Projekt. Wie schon gesagt: der
Abschied war für mich wirklich traurig, hat mir aber auch gezeigt, dass wir etwas
hinterlassen haben. Oft habe ich mir die Frage gestellt, welchen Sinn mein
Aufenthalt eigentlich macht und in wie weit ich den Kindern ‚etwas bringe‘. Der
Abschied hat mir gezeigt, dass wir auf jeden Fall etwas hinterlassen haben, und
zwar eine Spur im Herzen jedes einzelnen. Ich habe gespürt, wie sehr die Kinder
mich ins Herz geschlossen haben und natürlich auch umgekehrt. Das war für mich
wirklich wertvoll und auch wichtig, um die Sinnfrage zu beantworten. Man sieht
vielleicht keine direkten Resultate unserer Arbeit, aber wir haben es
geschafft, den Kindern ein bisschen mehr Freude und Liebe in ihr Leben zu
bringen und das ist, finde ich, schon mal ein Anfang.
2. Ashram
Am Montag kamen wir morgens an unserem nächsten Ziel an:
Amritapuri, der ‚Amma-Ashram‘. Ein Ashram ist (laut Wikipedia-Definition) ein
klosterähnliches Meditationszentrum.
Annika und ich suchten für die Übergangszeit bis zum Abflug einfach noch
ein bisschen Ruhe und nachdem Fiona (die mit uns im Norden war) dort schon
einige Zeit verbracht hatte, meldeten wir uns einfach mal an, ohne überhaupt
genau zu wissen, was uns erwartet. Die (?) Guru in Amritapuri ist Amma, eine
Frau, die auch weit über Indiens Grenzen hinaus bekannt ist. Ihre
Hauptaktivität ist es, Leute zu umarmen. Dafür tourt sie um die Welt (als wir
im Ashram waren, war sie gerade auf USA-Tour) und füllt ganze Stadien mit
Menschen, die darauf warten, von ihr umarmt zu werden. Diese Umarmung soll eine
ganz besondere Kraft besitzen, unglaublich tröstlich sein und tief berühren.
Daneben leitet sie noch eine Hilfsorganisation, es gibt eine Universität und
eben den Ashram, in dem ihre Anhänger wohnen. Jeder kann in den Ashram kommen
und dort übernachten (für westliche Besucher kostet es 250 Rupien pro Nacht,
Verpflegung inklusive). Als Besucher ist man dazu angehalten, täglich ein paar
Stunden zu arbeiten (von Gemüse schneiden, Tellern waschen über putzen oder
Kühe melken), sonst kann man quasi machen, was man will. Normalerweise gibt es
auch Yoga- und Meditationskurse, aber als wir da waren, war gerade sehr wenig
los. Amma war wie gesagt in den USA und die meisten Menschen kommen nur wegen
ihr, Touristen-Saison war gerade auch nicht. Deshalb gab es kaum Angebote, was
für mich aber gar nicht schlimm war (meine Gelenkprobleme hatten da ja auch
schon angefangen, Yoga wäre nicht möglich gewesen und stundenlang in einer
Meditation sitzen auch nicht). Wir verbrachten unsere Tage mit Schlafen,
Tagebuch schreiben, lesen, reden-einfach immer das machen, wonach man sich
gerade fühlt. Die Zeit im Ashram hat mir wirklich sehr gut getan und es ist auf
jeden Fall ein sehr friedlicher und angenehmer Ort. Der Ashram liegt übrigens
mitten in den Backwaters. Es gibt zwei große Wohngebäude mit über zehn
Stockwerken und von unserem neunten Stock schaute man rechts aufs Meer und links
zuerst auf einen Fluss und danach auf einen nicht endenden Wald aus Palmen. Wunderschön!
Dadurch, dass nicht so viele Leute da
waren, war es auch einfach, mit anderen ins Gespräch zu kommen (beim Essen
hielt man einfach Ausschau nach Weißen in ähnlichem Alter und schon hatte man
neue Freunde) und ich habe viele interessante Leute kennen gelernt, Dinge
gehört und Gespräche geführt. Was mir suspekt war, war die Anbetung, die Ammas
Anhänger ihr entgegen bringen. Sie wird im
Ashram als Gott verehrt, der Tag beginnt morgens um 4.50 mit Gesängen zu
ihren Ehren und sie ist im Ashram auch wenn sie nicht da ist allgegenwärtig.
Überall (wirklich, überall) hängen Bilder von ihr und auch die Gespräche drehen
sich viel um sie. Ich bin mir sicher, dass sie eine ganz außergewöhnliche
Person ist und bei ihrem nächsten Besuch in Deutschland möchte ich sie auf
jeden Fall auch ‚kennenlernen‘, aber mit diesem Personenkult konnte ich einfach
nicht so viel anfangen. Unwohl habe ich mich trotzdem nie gefühlt, es wurde
einem nichts aufgezwungen oder so und ich habe mich auch oft in den Tempel
gesetzt, um den Gesängen zuzuhören (nicht morgens um fünf natürlich, sondern
abends ;)), einfach, weil es eine schöne Stimmung war.
Am Freitag ging es dann schon weiter zu unserem Camp in
Bangalore. Schweren Herzens verließen wir den Ashram, da wir auch schon ahnten,
dass die Tage bis zum Abflug nicht so entspannt und irgendwie überflüssig werden
würden. Genauso verlief es auch: das Camp hätte man auch weglassen können, es
bestand aus fünf Stunden am Samstag und drei Stunden am Sonntag, Tee- und
Essenspausen eingerechnet. Dann wollten wir eigentlich am Montag nach Mysore
fahren, aber weil mein Knie enorm angeschwollen war und ich mich wirklich kaum
rühren konnte, blieben Annika und Momo mit mir noch einen Tag in Bangalore und
ich war am Montag beim Arzt. Am Dienstag war es dann zumindest so gut, dass ich
es schaffte, nach Mysore zu reisen, wo wir dann noch mit vielen anderen
Freiwilligen zwei unspektakuläre Tage verbrachten. Am Donnerstag fuhren wir
zurück nach Bangalore, wo wir abends alle zusammen zum Flughafen gebracht
wurden. Und dann ging es plötzlich ganz schnell und ich war wieder in
Deutschland.
3. Anfang
Seit zwanzig Tagen bin ich jetzt wieder da. Hinter mir liegen schon
ein wahrer Ärzte-Marathon, ein Familientreffen, ein Wochenende im Schwarzwald,
ein spontaner Besuch aus Belgien und schon einige schöne Stunden mit meinen
Freunden. Ich muss sagen: Im Moment fühle ich mich sehr wohl in Deutschland.
Alles erscheint mir so einfach und logisch, ich genieße es, nicht mehr jeden
Tag vor einer Sprachbarriere zu stehen, ganz frei über meine Termine und Pläne
entscheiden zu können, wieder bei meiner Familie und meinen Freunden zu sein.
Indien erscheint mir-wie schon erwähnt- sehr weit weg, trotzdem aber nicht
unwirklich. Ich würde sagen, dass es mir im Moment (vor allem nach Beseitigung
meiner gesundheitlichen Probleme) richtig gut geht und ich genieße es auch, mal
zu Hause zu sein und nicht so viele Termine zu haben. Nach einem Jahr im
ständigen Stress habe ich mir das auch verdient, denke ich. Vor mir stehen
jetzt Urlaube in Portugal und Griechenland und dann im Oktober ein Umzug nach
Passau: falls alles so klappt, wie ich mir das vorstelle, werde ich zum
Wintersemester anfangen, Kulturwirtschaft zu studieren. Aber das erscheint mir
auch noch ganz fern.
Und was bleibt mir jetzt von Indien? Könnte ich jetzt die Entscheidung treffen, ob ich das Jahr noch einmal machen wollte, würde ich es auf jeden Fall wieder tun. Es war nicht immer leicht und ich habe bestimmt nicht alles richtig gemacht, aber ich habe so viel erlebt, so viele Erfahrungen gesammelt, Menschen kennengelernt, so viel gesehen, gehört, geschmeckt und gefühlt: das kann mir keiner mehr nehmen und ich bin mir sicher, dass ich daran auch persönlich gewachsen bin. Vieles wird sich denke ich auch erst mit der Zeit herausstellen und bestimmt wird auch eine Zeit kommen, in der mich das Jahr nochmal mehr einholen und beschäftigen wird, als es jetzt gerade tut. Im Moment freue ich mich aber einfach an mir und meinem Umfeld und auch auf den neuen Lebensabschnitt, der jetzt beginnt.